Tschüss Ehrenamt, willkommen Freizeit

Basketball Holger Zschiesche aus Stammheim blickt auf mehr als 40 Jahre Einsatz für die Gesellschaft zurück. Von Tom Bloch

Mehr Begründung braucht kein Mensch. Erst recht nicht Holger Zschiesche.
"Irgendeiner muss es ja machen", sagt der gerade 60 Jahre alt gewordene Sozialpädagoge.
"Und es hat ja immer Spaß gemacht. Mit "es" ist sein ehrenamtlicher Einsatz in all seinen
Lebensphasen gemeint. So richtig begründen will er diese aufopfernden Tätigkeiten nicht,
warum auch. Es ist halt so geschehen. Dass er gerade 60 Jahre alt geworden ist, sieht man
dem Sportsmann überhaupt nicht an. Manche bekommen im Ehrenamt graue Haare, nicht so Holger
Zschiesche. Er strahlt mit funkelnden Augen, wenn er aus seinem Leben erzählt. Und das ist
nun wirklich bunt.

Im zarten Alter von 16 Jahren, nach gesammelten Erfahrungen als Turner, Leichtathlet
und Schwimmer, wird er Mitbegründer und erster Abteilungsleiter der Basketballer des
TV 89 Zuffenhausen. In den Folgejahren fungiert er als Spieler, Trainer und Jugendleiter
und etabliert den engen Kontakt zu Schulen. Mit dem ehemaligen Gymnasium Rot, dem heutigen
Ferdinand-Porsche-Gymnasium Zuffenhausen, wird die Endrunde der Baden-Württembergischen
Meisterschaften von "Jugend trainiert für Olympia" erreicht. Und so ganz nebenbei spielt
Zschiesche auch noch Fußball beim TSV Münster.

Nach Abschnitten als Sommerferien-Heimleiter in Sachsenheim, Heidelberg, Südtirol und auf
Norderney folgt der Einsatz als Mitgründer und erster Abteilungsleiter der Basketballerbei
der SG Weilimdorf, damals in einer Spielgemeinschaft mit dem SV Prag Stuttgart.

Dann bringt ihn der Zivildienst nach Heidelberg; Während Zschiesche in der Regionalliga
für die BG Heidelberg auf Punktejagd geht und beim TV Eppelheim wettkampfschwimmend durchs
Becken pflügt, arbeitet er zusätzlich als Basketball-Jugendtrainer und lernt aus der Ferne
ein Phänomen kennen, welches oft im Ehrenamt entsteht, nämlich die 'ungeschlossene Lücke,
die entsteht, wenn ein "Schaffer" verschwindet. "Meine Basketballer in Zuffenhausen hatten
eine schwierige Zeit, als ich weg war", erzählt Zschiesche bescheiden. Dabei wird deutlich:
die großen Fußstapfen, die der Tausendsassa hinterlassen hat, konnten schwer geschlossen
werden. "Daraus habe ich aber gelernt und die Aufgaben später viel mehrverteilt. Man muss
schließlich auch im Ehrenamt den Nachwuchs fördern und ausbilden."
Nächste Station: Studium der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit an der Hochschule in
Bremen. Und was macht Zschiesche? Er sucht sich erst Vereine, in denen er Basketballspielen
und Schwimmen kann, später wird er Trainer des Basketball-Landesligisten TV Oberneuland,
Tutor an der Hochschule für Fitness und Bewegungspädagogik und zudem Kursleiter im Hochschulsport
für Basketball und Volleyball.

Basketball begleitet ihn bis heute, erst vor zwei Jahren trat er etwas kürzer, gezwungen durch
eine Schulteroperation. "Aber wer weiß, ich hab' schon Lust, wieder bei den Senioren mitzumischen",
sagt er. Schließlich hat er ja jetzt ein wenig mehr Zeit. Zug um Zug hat er seine Ehrenämter abgeben,
denn die Liste ist längst noch nicht zu Ende.

So findet die kommende Oberbürgermeisterwahl ohne Zschiesche statt -er war mehr als zehn Jahre
Wahlhelfer und Wahlvorsteher in Stammheim. Auch zahlreiche Prozesse hat er als Schöffe in Amts-
und Landgerichtsverhandlungen in Stuttgart begleitet. Von 1992 bis 2004 fungierte Holger Zschiesche
zudem als Waldheimleiter in Stammheim. Er hatte das Projekt zusammen mit Pfarrer Hermann Grober
einst entwickelt und aufgebaut. Auch war er als evangelischer Kirchengemeinderat in verschiedenen
Ausschüssen aktiv und Mitglied im Ausschuss für Kindertagesstätten. Letzteres ergibt sich aus dem
hauptberuflichen Einsatz des Stammheimers: Zschiesche leitete lange Jahre die Kindertagesstätte in
Feuerbach, heute die in Zuffenhausen. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt ihm besonders am
Herzen -was sich schließlich leicht am Großteil seines beruflichen und ehrenamtlichen Daseins ablesen
lässt.

"Ich will einfach mehr reisen, meine Kinder, meine Freunde besuchen, und habe bewusst den Schwerpunkt
verlagert", begründet Zschiesche seine Entscheidung.

Springen wir doch mal zurück in der Geschichte: Das Studium in Bremen  ist beendet, Zschiesche kehrt
nach Stuttgart zurück und zwar erst nach Zuffenhausen. Durch ihn engagieren sich die Basketballer
intensiv für die Städtepartnerschaft mit La Ferte-sous-Jouarre,- dann bringt ihn ein Umzug nach
Gerlingen. Dort übernimmt er den Posten des Basketball-Abteilungsleiters bei der KSG Gerlingen und
organisiert unter Anderem vier internationale Turniere. Auch als Staffelleiter ist er im Einsatz.
2004 bekommt Zschiesche die Goldene Ehrennadel des Basketballverbandes Baden-Württemberg verliehen,
für seine besonderen Verdienste' und seinen aufopfernden Einsatz für den Sport. Von Gerlingen folgte
der Umzug nach Stammheim. Zschiesche kehrte Mitte 1994 zurück zum TV Zuffenhausen, dessen
Basketballabteilung er ja einst mitbegründete. Er fungierte lange Jahre weiter als Spieler, Trainer,
Schiedsrichter, Pressewart und baute die Mädchenarbeit genauso aus wie zusammen mit Doris Kretzschmar
das Unified-Team -eine Mannschaft, zusammengesetzt aus Behinderten und Nichtbehinderten, die sich
dieses Jahr mit dem Gewinn der Goldmedaille bei den Special Olympics in München krönte.

Und mit all dem soll nun Schluss sein. Tschüss Ehrenamt, willkommen Freizeit. Einfach so. Das
Rückschrauben des hohen nebenberuflichen Einsatzes habe aber nichts mit seinem runden Geburtstag
in diesem Jahr zu tun. "Ich will einfach mehr reisen, meine Kinder, meine Freunde besuchen, und habe
bewusst den Schwerpunkt verlagert", begründet Zschiesche sein Handeln. "Und langweilig wird es mir nicht
werden, der Sport wird mir nie verloren gehen." Seine Familie hat die ganzen Jahre Verständnis für seinen
Einsatz gehabt. "Ich bereue es nicht, ich würde es genauso wieder machen", sagt Zschiesche, "schließlich
habe ihm das Ehrenamt so viel, zurückgegeben." Im Umgang mit Menschen habe ich sehr viel gelernt.
Auch hatte ich sehr früh mit integrativer Arbeit zu tun, mit all den verschiedenen Nationen, die wir gerade
in Zuffenhausen haben." Und sofort kann Zschiesche eine Erinnerung abrufen. Damals, beim
Jugoslawienkrieg, da haben Serben und Kroaten in Zuffenhausen gemeinsam in einer
Basketballmannschaft gespielt. "Wir hatten keine Probleme, das ist schon beachtlich." Und seine Augen
funkeln wieder.



Stuttgarter Zeitung 06.08.2012